Es kam der Tag der Entlassung aus der neurologischen Klinik. Am 13.12.2006 wurde ich direkt von der Neurologischen Klinik in Darmstadt mit einem Krankentransport zur REHA nach Bad Orb gefahren. Rund drei Wochen, bis zum 10.01.2007 sollte ich in der Mediclin-Klinik bleiben, um meine Anschlussheilbehandlung zu tätigen…
Als ich dort
ankam, wurde ich von der Klinikleitung begrüßt. An der Rezeption wurde
mir ein Zimmer zugewiesen und die Hausordnung bekannt gegeben. Danach
wurde mir der Schlüssel für das Zimmer 309, später dann 623 überreicht. Da ich mit den großen Störungen in Bezug auf die
Orientierung und des Gedächtnisses zu kämpfen hatte, war es gar nicht
so einfach, bis ich mich in den Gebäuden zu Recht fand. Es dauerte doch
ziemlich lange, bis ich ohne Fremdhilfe mein Zimmer und den Speisesaal
alleine finden konnte.
Nachdem ich mein Zimmer fand und dort mein Gepäck abstellte, machte ich mich erst einmal mit der
Klinik vertraut… Noch länger dauerte es, bis ich mich etwas später
alleine aus der Klinik wagen konnte.
Der Therapieplan in der REHA
Zuvor
jedoch war der erste Gesprächstermin mit der Stationsärztin bezüglich
des Therapieplans. Meine Anwendungen wurden besprochen und festgelegt. Zu meiner Überraschung bekam ich in den ersten 3 Wochen nur physiotherapeutische Anwendungen, wie z.B.:
- Tischtennis spielen (Reaktionstraining) - Rückengymnastik - Ergometertraining (Konditionstraining) - Gleichgewichtsschule (Bewegungsapparat) - u. a.
Da
ich jedoch keinerlei physische Einschränkungen hatte, und sich auch der Therapieplan auf meine kognitiven Einschränkungen nicht änderte, empfand ich nach 3
Wochen Klinikaufenthalt das Ziel der Rehabilitierung als verfehlt
an und brach sie ab. Zuvor habe ich mich jedoch in Eigeninitiative nach
ambulanten Behandlungsmöglichkeiten bezüglich meiner aphasischen
Störungen erkundigt. Sofort trat ich eine lokale Ergotherapie in
Darmstadt an. Meine primären Störungen, welche noch bis heute andauern,
die im Wesentlichen meine Merkfähigkeit, Konzentration, Aufmerksamkeit,
die Sprache (Wortfindungsprobleme), Meine Leistungsfähigkeit und die Orientierung betreffen,
wurden von der AHB nicht behandelt und auch nicht erfüllt.
Das Problem mit der Orientierung
Als
ich das erste mal in den Speisesaal der Klinik wollte, fand ich Ihn nur
anhand eines Lageplans. Auch mit den Therapieräumen hatte ich Anfangs sehr starke Probleme gehabt, diese zu finden und kam meistens zu spät zu den Anwendungen, obwohl
ich immer früher losging. Verheerend war der Zustand der Orientierungslosigkeit. Für meine Gedächtnisprobleme wurden bislang noch
keine Anwendungen vorgesehen. Also beschloss ich, mich diesbezüglich
selbst zu therapieren. Ich ließ mir Rätselhefte mitbringen und kaufte
mir teilweise noch welche dazu.
Gedächnistraining in Eigeninitiative
Am
zweiten Tag fing ich mit meinem ersten Kreuzworträtsel an. Ich las mir
die Fragen durch und überlegte, suchte und überlegte aber mir fiel
nichts ein, kein einziger Begriff. Immer noch war da ein großes
schwarzes Loch in meinem Kopf. Am nächsten Tag begann ich ein anderes
Rätsel. Hier fielen mir plötzlich zwei Begriffe ein die ich auch in die
Kästchen eintrug jedoch war es auch das schon. Nun war mein
unerbittlicher Ehrgeiz und meine Motivation geweckt worden. In jeder
freien Stunde rätselte ich was das Zeug hielt. Hatte ich ein Heft durch
begann ich wieder von vorne. Am dritten Tag waren es vier Begriffe die
ich wusste. Es stellte sich solch eine Freude bezüglich der Besserung
bei mir ein, so dass ich das noch mehr intensivierte. Ich las
Zeitschriften und Bücher, um all die Informationen wie ein Staubsauger
aufzusaugen. Im Fernsehen schaute ich mir jegliche Reportagen,
Wissenschaftssendungen, Nachrichten, etc. an. Immer wieder versuchte ich
Verbindungen zu meinem früheren Leben herzustellen was aber noch nicht
ging. Da war immer noch eine Leitung unterbrochen die zum Hauptspeicher
führt, um die Daten abrufen zu können…
Auch hier möchte ich als
Beispiel einen PC aufführen. Wenn die Festplatte formatiert wurde. Nach
und nach muss die Software aufgespielt werden. Erst das Betriebssystem,
dann die Anwendungsprogramme. Erst wenn das Betriebssystem stabil läuft,
erst dann funktionieren auch die Anwendungsprogramme.
Da gab es
bei mir mit dem "Betriebssystem" noch einiges zu tun. D.h. ich musste
mein Gedächtnis wieder so trainieren, das ich mir wieder Dinge merken
(speichern) konnte und die alten Daten (Erinnerungen) gleichzeitig
wieder abrufen zu können. Ich kämpfte um jedes einzelne Wort, um jeden
Begriff und um jede Erinnerung. Es begann ein Krieg in meinem Kopf.
Alleine
fiel mir das sehr schwer, deshalb war ich hier auf professionelle Hilfe
angewiesen. Ich beschloss daher nach der AHB eine ambulante
Ergotherapie anzutreten. Was jedoch meine Orientierungsstörungen betraf,
kaufte ich mir ein neues Mobilfunktelefon mit einem integrierten
Navigationssystem, welches mir zumindest in Ortschaften und mit den
Straßennamen sehr half. Im weiteren Verlauf stellten sich immer mehr
Fortschritte ein. Wenngleich es auch kleine Fortschritte waren,
beflügelte dies meine Motivation und Ehrgeiz ungemein. Nun war es Zeit mich zusätzlich mit meinen Wortfindungsproblemen zu beschäftigen...
Der erste alleinige externe Ausflug
Ende
der zweiten Woche in der AHB konnte ich mittlerweile 12 Begriffe in
einem Rätsel füllen, worüber ich sehr stolz war. Sicherlich werden
gesunde Menschen darüber lächeln oder gar den Gedanken äußern „Ist der
dumm“. Ebenfalls Ende der zweiten Woche wagte ich an einem
therapiefreien Tag, welches ein Samstag war, den Schritt, die Klinik auf
eigenes Risiko zu verlassen. Ich nahm meinen gesamten Mut zusammen… Nach
dem ich mir eine Erlaubnis erteilen ließ und mir von der Rezeption
einen Stadtplan mit allen Straßennamen beschaffte, bewaffnete ich mich
mit meinem Mobilfunktelefon und der Telefonnummer der REHA- Klinik,
damit bei einem Irrlauf ich Hilfe ordern konnte. Gut gerüstet, machte
ich mich also nun voller Selbstvertrauen auf den Weg ins ungewisse…
Ich nahm mir vor, durch den Kurpark, direkt ins Zentrum zu laufen. Eine einfache Entfernung von ca. 1,5km sollte mein erster Versuch sein. Von der Klinik durch den Kurpark, an den Salinen vorbei, an denen ich pausierte und die salzige Luft genussvoll einatmete, gelang ich schließlich ins Zentrum...
Im Zentrum angekommen, genoss ich den Ausblick auf die Geschäfte, Cafés und Menschen die ich sah. Schließlich war ich gut 3 Wochen in medizinischer Intensivbehandlung und habe nur die weißen Räume der Kliniken gesehen. Es war ein Gefühl als wäre ich neu geboren worden. Immer wieder schaute ich auf meine kleine Karte mit den Straßennamen, versuchte mir auffällige Dinge – Gegenstände oder Gebäude einzuprägen, damit ich nach Anhaltspunkten suchen konnte wie zum Beispiel das Schild vom Café Edel, das ich natürlich auch besuchte, um mal einen guten Kaffee zu trinken und einen noch besseren Kuchen zu essen.
Nach dem ich vom ersten Ausflug selbstständig wieder in die Klinik zurückfand, beflügelte mich der Gedanke, das jetzt jeden Tag zu tun. Also wiederholte ich den Ausflug erneut am nächsten Tag. Diesmal nahm ich mir vor, den kleinen Stadtplan mit zu nehmen, um nur im Notfall darauf zu schauen. Ich zwang mich also, die prägnanten Orte vom ersten Ausflug aus meinem Gedächtnis aufzurufen. Ich suchte nach den entsprechenden Anhaltspunkten, z.B. die Salinen, die Stadtmauer, die St. Martins Kirche, die Erlebnisbrauerei und ähnlichem. Letztendlich musste ich nur dreimal auf den Stadtplan schauen, um den gleichen Weg zu finden, wie beim ersten mal. Ich war so stolz auf mich und gleichzeitig so erleichtert.
Ich wiederholte das jeden Tag mit einer ständigen Erweiterung des Weges. Es machten sich deutliche Fortschritte bemerkbar, die mich für weitere Taten beflügelten. So besserte sich immer weiter mein Zustand der Orientierung, jedoch waren immer noch große Einschränkungen vorhanden. Vor allen Dingen die Kupferkessel der Kärners- Erlebnisbrauerei gefielen mir sehr gut. Am vorletzten Tag meines AHB-Aufenthaltes habe ich mein erstes Glas Bier getrunken seit dem 5.Dezember. Das war vielleicht ein Genuss! Wenn also jemanden nach Bad Orb kommen sollte, ist ein Besuch der Brauerei ein muss.
Das Abschlussgespräch
Es kam nun der Tag, an dem das Abschlussgespräch stattfand. Das hieß, dass ich es bald geschafft habe. Bei dem Gespräch bemängelte ich nochmals die fehlenden Anwendungen bezüglich meiner kognitiven Probleme. Bei dem Gespräch wurde mir mitgeteilt, das diese Anwendungen in der vierten Woche hätten stattfinden sollen, was ich jedoch deutlich bezweifelte, zumal eine oder zwei Wochen nicht ausgereicht hätten, um Verbesserungen zu erzielen.
Die Entlassung aus der REHA
In Eigeninitiative suchte ich wie bereits gesagt ambulante Behandlungsmöglichkeiten, Therapien oder Anwendungen, die meine kognitiven Defizite beheben sollten. Ich stieß in meiner Internetrecherche mit dem Begriff „Ergotherapie“ auf eine Vielzahl von Seiten. Unter anderem fand ich in Darmstadt eine Ergotherapie-Praxis, die sehr viel versprechend klang. Also rief ich dort an um einen Termin auszumachen. Am 3.01.2007 wurde ich aus der AHB-Rehabilitationsklinik in Bad Orb entlassen. Nun geschah etwas mit dem ich überhaupt nicht rechnete. Die schulmedizinische Behandlungsphase war nun abgeschlossen und ich wurde nun ins reale Leben entlassen. Erst jetzt sollte das ganze Ausmaß meiner Folgeerscheinungen zu Tage kommen…
Im Anschluss, zeitnah nach der AHB (Anschlussheilbehandlung) begann ich dann eine 3-monatige ambulante, ergotherapeutische Behandlung in meinem Wohnort…